Martin Amanshauser

Ein Himmel für die Botox-Damen

Wo Elvis Presley seine Tochter gezeugt hat, steht heute fest. Über eine Designerstadt in der Wüste, deren berühmtester Bürger ein Schimpanse ist.

Die rundliche „Aerial Tramway“ auf den Mount San Jacinto ist eine von weltweit drei Seilbahnen mit rotierender Grundfläche. Während der zehn Minuten Fahrt zur Bewältigung eines Höhenunterschieds von fast 1.700 Metern bietet die kreisende Plattform 360-Grad-Blicke und durchfährt fünf Klima- und Vegetationszonen, von der Mexikanischen Wüste bis zum Alpinen Nadelwald. Die Bergstation, 1961-63 von E. Stewart Williams errichtet, ist ein 3-stöckiges Riesending von elegant-sowjetischer Bauart, mit verwinkelten und gefinkelten Terrassen, die in ein Wüstental blicken.

An klaren Tagen ist der Saltonsee sichtbar, dem größten kalifornischen und einem der größten Seen unterhalb des Meeresspiegels überhaupt, der 1905-07 entstand, nachdem der Colorado River durch die Bewässerungskanäle brach – und seitdem blieb. Doch der Blick vom Mount San Jacinto zeigt direkt drunter auch eine schachbrettförmige Stadt, unübersehbar schön im Tal, als wäre sie ein Symbol für Ordnung und Klarheit: Palm Springs. Die Grundstückspreise waren eigentlich immer extrem hoch, aber Palm Springs präsentiert sich heute nicht mehr nur als Society-Dorf, sondern zeigt seine Landschaftsreize.

Zuerst waren im Coachella-Tal nur Cahuila-Indianer, warme Quellen. Erst ab 1850 kamen die weißen Siedler. Palm Springs bot, was viele Menschen wollen: warmes Wüstenklima, heilende Winde, malerische Berge. Anfang des 20. Jahrhunderts war der Ort zu einem eleganten Resort aus „spanischer Kolonialarchitektur“ geworden. Zuerst die Reichen und Wohlhabenden, bald die Sterne und Sternchen aus Hollywood, begünstigt durch die sogenannte „100-Meilen-Klausel“ in den Verträgen der Film-Schauspieler: weiter durften sie sich nicht von Hollywood entfernen, falls sie von ihren Impresarios plötzlich für ein Interview oder einen Lunch benötigt wurden. Palm Springs, rund 102 Meilen entfernt, wurde gerade noch toleriert.

So richtig boomte der Kurort ab den Fünfziger Jahren. Rund um Frank Sinatra war es für die Entertainment-Elite Pflicht, ein Sommerhaus in Palm Springs zu betreiben. Auch aus dem neblig-kühlen San Francisco konnte und kann man in einer Flugstunde anreisen. „In Palm Springs gibt es kein Wetter – genau wie im Fernsehen“, schreibt Douglas Couplands Erzähler in „Generation X“ (1991), das in einem Bungalow am Stadtrand spielt. „Es gibt auch keine Mittelklasse. (…) Jedes Mal, wenn irgendwo auf der Welt jemand eine Büroklammer benutzt, die Wäsche weichspült oder sich im Fernsehen eine Wiederholung von ´Hee Haw` ansieht, nimmt einer der Anwohner hier im Coachella Valley einen Penny ein.“

In der Wüste fällt die Dunkelheit rasch, und wer will schon die halbe Zeit seine Füße in die geheizten Pools legen? Auf dem Palm Canyon Drive findet jeden Donnerstag das Village-Fest statt, die US-Mixtur aus mexikanisch-asiatischem Essensangebot inklusive polnischer Bratwurst mit deutschem Sauerkraut und den notorischen Handwerksständen. Die Nachtbesucher trampeln etwas achtlos über den Walk of Fame für Entertainer, Pioniere und lokale Berühmtheiten.

Wie in allen Kurorten existiert auch in Palm Springs kein nennenswertes Kulturprogramm – wären da nicht die Fabulous Follies, Kaliforniens buchstäblich ältestes Show-Ensemble, mit Schauspielern zwischen 56 und 82 Jahren. Aus allen Teilen Amerikas strömen Pensionisten ins historische Plaza Theater, um die sexy Tanzshow zu erleben, die ihnen Kraft und Mut gibt. Riff Markowitz, 72, einst Chef des ersten kanadischen Pay-TV-Netzwerks, erwarb vor einem Vierteljahrhundert das heruntergekommene Plaza Theater im Stadtzentrum und erfand die Follies-Show, die nun in ihre 20. Saison geht. „Was hätte ich tun sollen? Ich hasse Golf“, kommentiert Markowitz das unglaubliche Erfolgskonzept seines Lebensabends. Fragte man ihn vor zwanzig Jahren noch hämisch, wer denn nun Geld zahlen werde, um die Beine alter Frauen zu sehen, hat Markowitz mit 4.000 Shows und rund 3 Millionen Besuchern alle Kritiker eines besseren belehrt.

Das liegt nicht nur an den erfinderischen Choreographien des US-Vaudevilles mit Songs aus den Dreißiger bis Siebziger Jahren, sondern vor allem am Impresario selbst: der scharfzüngige Frackträger Markowitz schont niemanden. „Na da haben wir ja wieder tolle Leute in den vorderen Reihen, alles Plastic Surgery, ich wette, Sie können nicht gleichzeitig lächeln und sich setzen!“ Weder die Botox-Damen noch die Poloshirt-Träger, jeder im Publikum, der sich angesprochen fühlt – und Markowitz spricht möglichst jeden an – kriegt bei ihm das Fett ab. Er wagt es, einer 95-jährigen umständlich charmant zu erklären, sie würde gar nicht wie 95 aussehen – sondern älter. Mit der Unverschämtheit, die großes Kabarett auszeichnet, hält Markowitz das atemlos-verschreckte Publikum an der Leine, ehe er sich am Ende die Sympathien des Volks mit einem patriotischen Block geschickt zurückzuholen weiß. Die verrückten Follies gipfeln im katharsischen Loblied auf die (richtig verstanden,  jene weltweit unbeliebten) US-Streitkräfte: „Nothing can stop the US-Air Force!“ Eh nicht. Plus Hymne mit Hand aufs Herz.

Manche mögen Briefmarken, andere Baseball, Robert Imber ist Architektur-Fanatiker. Mit ihm eine Runde durch Palm Springs zu drehen, hat nichts zu tun mit den hirnlosen Celebrity-Touren: hier wohnte Bob Hope, da Walt Disney, hier Clark Gable, da William Holden, hier Kirk Douglas. Imbers Touren skizzieren den historischen Boden, auf dem sich Stars bewegten, und das nicht nur in der „modernism week“, zu der Design- und Architekturfans im Februar aus der ganzen Welt anreisen.

Am 1. Mai 1947 beauftragte Frank Sinatra bei erwähntem Architekten Williams ein Haus in Palm Springs, das Weihnachten fertig sein sollte – „georgian-style“! Williams gelang es letztlich, Sinatra von der Sinnhaftigkeit eines modernen Designs zu überzeugen, das sich in die Wüstenlandschaft einfügte – später versuchten sich die innovativsten Architekten in Palm Springs, der Schweizer Albert Frey, der mit Le Corbusier gearbeitet hatte, wurde durch die „Tramway Gas Station“ am Ortseingang berühmt, die heute das Visitor Center beherbergt. Auch zwei österreichische Emigranten, Rudolph Schindler und Richard Neutra stellten bahnbrechende Bauten des Modernismus in die Wüste – und zerstritten sich dabei heillos.

Der größte Wurf war die hübsche Massenware: über 5.000 Häuser wurden von den Alexanders (Vater und Sohn) errichtet. Die „Alexander Construction Company“ und ihr Hausarchitekt William Krisel variierten ihr dachloses Standardmodell, und es ging weg wie violette Muffins. Sie konnten für sich selbst auch anders. Das „House of Tomorrow“ wurde als Alexander-Haus zur Essenz des Modernismus. Der offene Grundriss, die großen Glasflächen, die hohen Pfostendecken: seit einer Home-Story im Look Magazin (1962) galten die Alexanders selbst als Stilikonen einer Ära.

Doch erst durch einen Flugzeugabsturz am 14. November 1965, bei dem die beiden Alexanders und ihre Frauen starben, erhielt das „House of Tomorrow“ die Gelegenheit, jener Ort zu werden, an dem Elvis und Priscilla Presley ein Jahr ihres Lebens, darunter die Flitterwochen verbrachten: das „Elvis Honeymoon Hideaway“. Im September 1966 leaste Presley die Hütte um 21.000 Dollar für ein Jahr, und zeugte dort zweifelsfrei seine Tochter Lisa Marie.

Doch der größte Star von Palm Springs ist gar kein Mensch! Der Schimpanse Cheeta lebt seit 19 Jahren etwas außerhalb vom Zentrum, am Francis Drive, zusammen mit dem Schauspieler Dan Westfall, der ihn von seinem Onkel übernommen hat. Der berühmte Tarzan-Schimpanse ist vielleicht der weltweit Älteste seiner Spezies. „Cheeta ist in Pension – viele Jahre schon“, erklärt Dan, „und nur noch als Botschafter für Schimpansen tätig. Ich und Cheeta sagen, dass es das Entertainment Business nicht mehr nötig hat, Unterhaltungstiere heranzuzüchten. Es gibt jede Art von digitalen Animaltronics, und das verschafft wiederum Menschen Jobs.“ Cheetas letzte Kinorolle war eine Verfilmung von Doctor Doolittle im Jahr 1967.

„Für ihn war nie ein natürliches Leben möglich. Würdest du ihn aussetzen, würden ihn die anderen Schimpansen killen!“ Aber das kommt ohnehin nicht mehr in Frage, wie man an den Gemälden an Dan Westwalls Wänden sieht, die alle vom Schimpansen persönlich verfertigt wurden. Eines kam 2007 in die National Gallery in London.

Kein Spaß war für Dan Westfall, als der Mythos Cheeta zu bröckeln begann. Er selbst hatte den bekannten Autor Richard Rosen beauftragt, eine Biographie über Cheeta zu schreiben. Doch Rosen fand – Ohrenvergleiche an allen Filmschimpansen – heraus, dass Cheeta sich vermutlich nicht mit den Tarzan-Filmschimpansen deckte. Doch egal, wer Cheeta nun ist: Sicher ist er der letzte alte Hollywoodaffe. Schimpansenforscherin Jane Goodall hat Dan Westfall ermutigt, eine Stiftung für Tiere zu gründen, die von der Motion Picture Industrie ausrangiert wurden, und das ist nun sein Lebenszweck

„Das ist ein grausames, einseitiges Urteil über das, was Palm Springs wirklich ist: eine Kleinstadt, in der alte Leute versuchen, ihre Jugend zurückzukaufen“, schreibt Coupland in Generation X, „jedoch es ist wirklich kein schlechter Ort, sogar zweifellos bezaubernd.“

Anreise:

United Airlines fliegt Sie täglich mehrmals ab Frankfurt oder München über San Francisco, Chicago oder Washington nach Palm Springs. Buchbar in jedem Reisebüro, bei United  Airlines direkt unter +43/1/795671-96 oder www.unitedairlines.de

Kontakte:

Fremdenverkehrsbüro Palm Springs, Tel.: +49 (0)69 256 28 88 86, info@palmsprings.de, www.palm-springs.de

Unterkunft:

Korakia Pensione, 257 S. Patencio Road, Palm Springs, www.korakia.com

Orbit Inn, 526 W. Arenas, Palm Springs, www.orbitin.com

Kultur:

The Fabulous Palm Springs Follies spielen fünf Tage pro Woche im Plaza Theater, www.psfollies.com

Straßenfest auf dem Palm Canyon Drive, jeden Donnerstag: www.villagefest.org

Architektur:

Palm Springs Modern Tours, architektonische Stadtführungen von Robert Imber, psmoderntours@aol.com

Elvis Honeymoon Hideaway, 1350 Ladera Circle, www.elvishoneymoon.com

Palm Springs Modernism Week, 17.-27.2.2011, www.modernismweek.com

Palm Springs Art Museum, 101 Museum Drive, www.psmuseum.org

Schimpanse:

C.H.E.E.T.A., Creative Habitats and Enrichments for Endangered and Threatend Apes, Spenden bei: www.cheetathechimp.org

Natur:

Palm Springs Aerial Tramway, www.pstramway.com

Hiking Indian Canyons, www.indian-canyons.com